Hirschgeweih, 1933

Dieses Hirschgeweih, das im Jahr 1933 präpariert wird, gehörte Karl Tischer, Förster schon in der 5. Generation. Die Familie Tischer kommt aus dem Dorf Schneeberg im Elbsandsteingebirge. Im Jahr 1933 gehört es zur Tschechoslowakei, 1938 wird es unter der Parole „Heim ins Reich“ Teil des nationalsozialistischen Deutschlands. Dies bleibt Schneeberg nicht ganz sieben Jahre, bis es nach Ende des Zweiten Weltkriegs als „Sněžník“ wieder tschechisch wird – und gemacht wird: Aus dem Gebiet, das als „Sudetenland“ bekannt ist und in dem auch Schneeberg liegt, wird die dort ansässige deutsche Bevölkerung nach 1945 unter Androhung und Ausübung von Gewalt vertrieben – vor allem, weil die meisten die nationalsozialistische Terrorherrschaft unterstützt oder geduldet hatten. Insgesamt verlassen rund 3 Millionen Menschen ihr Haus und ihre Heimat und kommen als Flüchtlinge nach Deutschland. Unter ihnen befindet sich auch die Familie Tischer. Als sie 1946 aus Schneeberg zwangsumgesiedelt werden, nimmt Karl Tischer auch das Hirschgeweih mit. Hirschgeweihe sind nicht nur schwer, sondern auch sperrig. Allein daraus lässt sich entnehmen, welche Bedeutung der Förster diesem Gegenstand seines Haushaltes beigemessen haben muss, als er ihn auf den Güterwagen packte. Eine Bedeutung, die ebenso für seine Tochter Paula besteht, welche trotz erklärter Abneigung gegen Geweihe doch dieses aufbewahrt und mit ihm die Heimat ihrer Kindheit und Jugend verbindet. Aus einer Trophäe, die der Jagd und ihrer Beute gedenkt, wird so ein Erinnerungs­objekt, das einen Sommertag an einem Ort namens „Schneeberg“ festhält und darin etwas, das sich nicht ver- oder austreiben lässt: ein Heimatgefühl jenseits der staatlich-politischen Grenzziehungen.
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© Sammlung Deutsches Auswandererhaus, Schenkung Familie Japp

Kategorien

Gedanken und Gefühle

Identität

Angst

Vertreibung

1946–1989