Zeitungsgraphik, 1882

Die Handelsstadt Brody ist seit der ersten Teilung Polen-Litauens 1772 Grenzstadt. Lag die heute zur Ukraine gehörende Stadt vorher mitten im polnisch-litauischen Staat, so ist sie nun Peripherie und der Ort, an dem Menschen ankommen, die aus dem Russländischen* Reich ins Kaiserreich Österreich-Ungarn reisen – oder umgekehrt die letzte Station in Österreich-Ungarn vor dem Grenzübertritt ins Zarenreich. Im Jahr 1881 wird Zar Alexander II. ermordet. Der Mord wird als Anlass für antisemitische Verleumdungen genutzt. In der Zeit der Pogrome steigt die Zahl der Auswandernden beträchtlich, auch wenn die Menschen nicht unbedingt aus den Städten kommen, in denen die Pogrome stattfinden. Viele von ihnen reisen durch die Grenzstadt Brody. Die Zahl der Auswandernden nimmt im Laufe des Jahres erst wieder ab, nur um im Frühjahr 1882 erneut massiv anzusteigen. Damals nehmen Presse und Hilfsvereine die Auswandernden als Flüchtende vor den Pogromen war und diskutieren in verschiedenen Ländern – etwa in Österreich-Ungarn, im Deutschen Kaiserreich, in Frankreich und den USA –, wie ihnen am besten zu helfen sei. Derweil reist der Religionshistoriker Moritz Friedländer 1881 und 1882 mehrmals für das Wiener Büro der Hilfsorganisation Alliance Israélite Universelle nach Brody, um von dort aus die Auswanderung von Geflüchteten in die USA zu organisieren. Seine Eindrücke hält er noch 1882 in seinem Buch „Fünf Wochen in Brody“ fest. Eindrücklich beschreibt er die vielen Menschen, die schon frühmorgens versuchen, ihre Weiterreise zu organisieren. Die Diskussion um die Migrant:innen aus dem Russländischen Reich findet nicht nur unter Hilfsorganisationen und in der Politik statt, sondern erfährt durch Bücher wie das von Friedländer oder durch die Presse auch Aufmerksamkeit in der Bevölkerung. Das Objekt ist eine Seite aus der „Allgemeinen Illustrirten Zeitung“ Nr. 48 aus dem Jahr 1882.
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© Initiativkreis Deutsches Auswandererhaus e. V., Dauerleihgabe

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1871-1918