Objekt des Monats

Jedes Objekt in der Sammlung des Deutschen Auswandererhauses erzählt eine ganz persönliche Auswanderungs- oder Einwanderungsgeschichte. In dieser Rubrik stellen wir Ihnen jeden Monat ein anderes Objekt vor – eine Fotografie, ein Dokument oder ein persönliches Erinnerungsstück.

September 2024

Grafik „Das Auswanderungshaus in Bremerhafen“, ca. 1850

Größe

 38,5 x 30,5 cm

Material

Papier

Schenkung

Axel Hedemann

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Historische Einordnung

Am 12. September 1830 läuft der amerikanische Segler „Draper“ als erstes Schiff in den Hafen des 1827 neu gegründeten Bremerhaven ein. Noch im selben Jahr machen sich von hier aus die ersten Auswandernden auf den Weg nach Übersee, und binnen kurzer Zeit entwickelt sich die Beförderung von Passagieren zu einem unentbehrlichen Faktor für den bremischen Handel und die Schifffahrt.

Der Erlass von Schutzgesetzen, die Standards für den Transport von Auswandernden auf den Überseeschiffen festlegen, verleihen Bremerhaven einen guten Ruf als Einschiffungshafen und die einsetzende Auswandererwerbung tut ihr Übriges, um Ausreisewillige anzulocken. Allerdings ist die im Aufbau befindliche Hafenstadt noch gar nicht vorbereitet auf die vielen Menschen, die nun kommen. Während Bremerhaven beispielsweise 1832 gerade einmal 200 Einwohner und Einwohnerinnen hat, beträgt die Zahl der Auswandernden in diesem Jahr bereits etwas mehr als 10.000 Personen.

Zeitweise versammeln sich mehrere hundert Menschen im Hafen, für die es nicht genug Logis-Plätze gibt. Oftmals müssen die Wartenden in behelfsmäßigen Unterkünften untergebracht werden: im Tanzsaal, auf Dachböden, in Ställen und Scheunen. Die Lösung für dieses Beherbergungsproblem besorgt der Bremerhavener Kaufmann und Spediteur Johann Georg Claussen: Ab 1849 lässt er zwischen den Bootsanlegestellen an der Geeste und dem Hafenbecken das „Auswandererhaus“ errichten, eine Herberge für Auswandernde.

Kurzbiographie des Gebäudes

Im Jahr 1850 ist das Auswandererhaus fertig gestellt, die ersten Gäste beziehen im April ihre Unterkunft in dem roten Backsteingebäude. Insgesamt kann in dem mehrstöckigen Gebäude bis zu 2.000 Personen Logis zur Verfügung gestellt werden. Die Küche mit Dampfapparat kann sogar 3.500 Portionen Essen bereitstellen und neben den Auswandernden auch Matrosen und Hafenarbeitern in eigenen Speiseräumen Verpflegung anbieten. Die neun Schlafsäle sind nach Art der Schiffszwischendecks eingerichtet, d.h. längs der beiden Innenwände verlaufen zwei Reihen von Verschlägen mit Kojen, von denen jede für die Aufnahme von drei bis vier Personen vorgesehen ist. Der freie Raum dazwischen ist mit Tischen und Bänken versehen und dient den Auswandernden als Aufenthalts- und Speisebereich. Vor jedem dieser Schlafsäle befindet sich ein Waschzimmer. Außerdem bietet das Auswandererhaus in Hospitalräumen medizinische Versorgung und in der hauseigenen Kapelle kirchlichen Beistand für verschiedene Konfessionen.

Nach einigen erfolgreichen und lukrativen Jahren werden Veränderungen in der Verkehrsanbindung von Bremen nach Bremerhaven dem Auswandererhaus zum Verhängnis: Durch den Einsatz von Schleppkähnen und schließlich ab 1862 die Eröffnung der Eisenbahnstrecke wird die Anreise für die Auswandernden zunehmend kürzer und verlässlich planbar. Das kommt dem Interesse des bremischen Handels zugute, die Auswandernden so lange wie möglich in Bremen zu halten um möglichst große Einnahmen zu erzielen. Die Aufenthaltszeit in Bremerhaven wird immer kürzer; ein Umstand, der für Bremerhaven eine wirtschaftliche Einbuße bedeutet und 1865 zur endgültigen Schließung des Auswandererhauses führt.

Danach wird das Gebäude zu unterschiedlichen Zwecken genutzt, immer wieder unterbrochen durch Leerstandszeiten: So dient es 1873 bis 1885 als preußische Kaserne, und von 1891 bis 1974 beherbergt es Brauereibetriebe. Ab 1985 entsteht auf dem Gelände des ehemaligen Auswandererhauses die Hochschule Bremerhaven. Verschiedene Gebäudeteile und Fassadenpartien des alten Gebäudekomplexes werden in den Neubau integriert.

Bedeutung des Objekts

Ein wichtiger Aspekt von Migrationsforschung ist die Frage nach der Migrationslogistik: nach den Reisewegen, Beförderungsarten und -möglichkeiten, damit verbundenen Dienstleistungen, der Einschiffung, oder auch den Beförderungsbedingungen. Migrationslogistik hatte und hat Auswirkungen auf das Ausmaß und die Umstände von Migration. Für die Auswanderung über Bremerhaven hatte das historische Auswandererhaus eine wichtige Stellung: Es bot wartenden Auswandernden eine große Zahl von Unterkunftsplätzen zu festgelegten Preisen, und trat damit den teilweise chaotischen Verhältnissen und Wucherpreisen entgegen. Das Auswandererhaus galt bei seiner Eröffnung als beispielhafte soziale Einrichtung, und Tausende verbrachten hier ihre letzten Tage in Deutschland.

Haben auch Sie …

… eine Aus- oder Einwanderungsgeschichte Ihrer Familie zu erzählen und möchten diese mit den dazugehörigen Objekten und Dokumenten dem Deutschen Auswandererhaus für seine Sammlung übergeben? Dann kontaktieren Sie bitte Dr. Tanja Fittkau unter der Rufnummer 0471 / 90 22 0 – 0

oder per E-Mail unter: t.fittkau@dah-bremerhaven.de

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